Donnerstag, 6. Mai 2010

Von Susques durch die Hölle nach San Pedro


Während meines Pausetages in Susques lernte ich eine Gruppe aus drei schweizer Radlern kennen. Sie hatten die selbe Route wie ich über den Paso Jama geplant. Und machten ebenfalls einen Tag Pause in Susques. Am selben Tag entdeckte ich zwei gebrochene Speichen an meinem Rad, was mir die Option vom Paso Jama direkt weiter nach Bolivien zu fahren nahm. Allerdings hatten die Schweizer Ersatzspeichen parat und in dem Dorf gab es tatsächlich sowas wie eine Fahrradwerkstatt. Neue Hoffnung schöpfend brachte ich das Rad samt Speichen zur Fahrradwerkstatt und mir wurde zugesagt, dass es am nächsten Morgen um neun fertig sei. Aus neun wurde 12 und ich beschloss statt so spät noch zu starten am nächsten Tag gemeinsam mit den Schweizern aufzubrechen. Ich wurde dazu genötigt mir morgens einen Wecker zu stellen. Um 6:15 war aufstehen. Geplante Abfahrt dann zwischen 7:30 und 8:00 Uhr. Ein Platten am meinen Rad verzögerte das ganze, aber um kurz nach 8 waren wir schließlich unterwegs. Der Wind war uns an diesem Tag gut gesonnen. Teilweise hatten wir sogar etwas Rückenwind. Dafür regnete bzw. je nach aktueller Höhe hagelte es ein wenig. Insgesamt kamen wir gut voran. Probleme machte lediglich meine Gesundheit. Nach etwa 75km hatte ich so starke Kopfschmerzen und Schwindelgefühle (vermutlich bedingt durch die Höhe), dass der Tag für mich gegen 15:30 endete. So trennte sich also die Gruppe recht schnell wieder. Ich verkroch mich in mein Zelt und lauchte dem Hagel, der auf die Plane prasselte. Am nächsten Tag hatte sich die Landschaft dann verändert. Die Gipfel die am Nachmittag noch braun gewesen waren, waren nun von einer dünnen Schneeschicht bedeckt. Ich war wieder fit und radelte flott der argentinischen Grenze entgegen. Am frühen Nachmittag erreichte ich die Grenze.
Frischer Schnee auf den Gipfeln
 Argentinische Grenze

Das Wetter schien perfekt für einen Fahrradtag. Es war leicht bewölkt und windstill. Doch die Zöllner teilten mir mit, dass der Pass wegen Schneefall gesperrt sei. Die drei Schweizer hatten Glück. Sie hatten die Grenze noch vor der Sperrung passiert. Alles diskutieren brachte nichts. Das größere Problem war für mich, dass meine Vorräte zur Neige gingen. Eigentlich hatte ich geplant an der Grenze meinen Proviant aufzufüllen. Doch es war 1. Mai und damit auch in Argentinien Feiertag. Ein Tag an der Grenze hieß also auch für einen Tag weniger Vorräte. Ich rechnte nochmal durch und kam zu dem Ergebnis, dass ich gerade genug für die geschätzten 2,5 Tage hatte, die ich noch brauchen würde. Im Laufe des Tages fing es immer mehr an zu Hageln und es wurde mit der Zeit bitterkalt. Die Nacht verbrachte ich im Rohbau einer Lehmhütte. Am nächsten Tag hörte ich dann bereits beim Aufwachen den Wind durch die Hütte pfeifen. Ich hatte also einen Tag mit vermeindlich gutem Wetter gegen einen windigen getauscht. Erneut an der Grenze angekommen hieß es wieder warten. Um 11 Uhr wurde die Grenze geöffnet. Ein paar weitere wichtige Stunde verloren im Kampf mit den schwindenden Vorräten. Als erster verließ ich die Grenze. Es war kalt und der Wind war schon um die Zeit recht stark und ich kam schlecht voran. 
Blick zurück auf die Grenze

Nach einigen Kilometern kam mir eine Gruppe Radfahrer entgegen. Ich war überrascht, als ich die drei Schweizer wiedererkannte. Sie berichteten von Schneesturm am Vortag und zu starken Winden am aktuellen Tag. So dass sie schließlich vor dem Wind kapitulierten und sich auf den Rückweg machten, um von der Grenze aus zu trempen. Die Berichte ließen mich an meinem Plan zweifeln den Rest der Strecke in 2,5 Tagen zu schaffen und mir kamen wieder meine geringen Vorräte in den Sinn. Aber zu motiviert, um so früh abzubrechen ging es weiter. Ich kämpfte gegen den mit jeder Minute und jedem Höhenmeter stärker werdenden Wind. Nach einer Weile stellte ich fest, dass mich lange kein Auto überholt hatte. Und ich spekulierte, dass die Grenze wieder geschlossen ist. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Erste kleine Schneeflocken peitschten mir entgegen. Scheinbar befand ich mich im oberen Bereich einer Schlechtwetterwolke. Wenn die Wolke gerade etwas aufstieg hatte ich einen heftigen Schneesturm, der meine Nase – dem einzigen freiliegenden Körperteil – mit Hagelkörner maltretierte. Im anderen Fall hatte ich strahlenden Sonnenschein, allerdings trotzdem enormen Wind. In den Übergängen gab es sogar die Kombination Schneesturm mit strahlendem Sonnenschein. Fingerspitzen und Zehen begannen immer mehr vor Kälte zu schmerzen und ich kämpfte mich unter diesen widrigen Bedingungen an diesem Tag in 6 Stunden anstrengender Fahrt ganze 25km weit. Beim abendlichen Zähnenputzen stellte ich dann fest, dass mein Trinkwasser teilweise gefroren war. Ich zeltete in einem trockenen Flussbett neben der Straße. Das Zelt beschwert mit Steinen, um den Winden zu trotzten, verharrte ich im Schlafsack.

Nach Sonnenuntergang war es draußen bitterkalt. Ich began an diesem Text zu schreiben, doch schon bald froren die Finger ein. So hatte ich keine Wahl als im warmen Schlafsack auf den Sonnenaufgang zu warten. Eine kalte, ungemütlich und lange Nacht. Als die ersten Sonnenstrahlen am Zelt kitzelten quälte ich mich langsam in einen kalten Morgen. Fast all mein Wasser war gefroren. Der kleine flüssige Rest an Wasser, den ich hatte, reichte gerade fürs Frühstück. Danach bat ich die Sonne ihren Job zu tun und mein Wasser sowie meine Zehen aufzutauen. Sie tat es, wenn auch langsamer als erhofft. So musste ich in den ersten Stunden mit weniger Wasser auskommen, als ich es gerne gehabt hätte. Schon am Morgen war es wieder windig und ich kämpfte mich erneut langsam gegen heftigen Wind voran. Eigentlich war das Ziel an diesem Tag den nächsten Pass zu überwinden. Aber schon gegen Mittag war klar, dass ich es nicht schaffen würde.

Letztlich musste ich beim Beginn des Anstiegs auf 4.600m Höhe mein Zelt aufschlagen. Eine weitere Nacht in extremer Höhe wartete auf mich. Diesmal nahm ich ein paar Liter Wasser mit in den Schlafsack, um sie vom Gefrieren abzuhalten. Erneut war es bitterkalt und jedes Körperteil, dass man aus den Schlafsack streckte, schien unmittelbar einzufrieren. Von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgan waren es über zwölf Stunden, die es zu überbrücken galt. Ungemütlich auf der harten, billigen Isomatte, umgeben von Dunkelheit und Kälte. Häufig wachte ich auf, warf einen Blick aus dem Schlafsack und hoffte, dass die Sonne endlich aufgegangen ist. Ich träumte von Palmen, Strand und Cocktails aus halbierten Kokosnüssen. Es war wohl eine der längsten und schlimmsten Nächte meines Lebens. Spätestens an diesem Punkt konnte ich keinen Grund mehr finden, warum ich mir das eigentlich antat. Seit der Abfahrt in Susques bestand die Tour aus stetig steigenden Qualen. Kopfschmerzen, Magenbeschwerden und Kälte waren die Dinge, die die letzten Tage geprägt haben. Ich schwor mir, dass ich mir so etwas nie wieder antun würde. Als dann endlichen die Sonne aufgegangen war begann ein neuer, harter Tag. Diesmal lag die Überwindung der letzten beiden Pässe vor mir. Bis zum ersten Pass waren es noch gut zweihundert Höhenmeter. Obwohl es früh am Morgen war und ich eigentlich erholt, stellten diese Höhenmeter schon eine Herausforderung da. Was auf tieferen Höhen kein Problem darstellte, erwies sich hier als sehr anstrengend. Die dünne Luft brachte einem keinerlei Erholung in den Pausen und so quälte ich mich langsam gen Gipfel. Knapp hundert Höhenmeter vor dem Ziel hörte ich ein Schnaufen hinter mir und war überrascht Florian, einen der Schweizer hinter mir zu sehen. Sie waren am vorigen Tag bis zu der Stelle getrempt, wo sie das letzte Mal umgekehrt waren. Und ohne voneinander zu wissen, campten wir nur ein paar Kilometer voneinander entfernt. Ein knappe halbe Stunde vor mir gestartet hatten sie dann diese Distanz überwunden und mich schließlich eingeholt. Gemeinsam erstürmten wir bei strahlendem Sonnenschein den Gipfel.
 Gemeinsames Gipfelfoto auf 4.839m Höhe

Der höchste Punkt, auf dem ich mich in meinem Leben befand und eventuell der höchste Punkt, den ich je mit eigener Kraft erreicht haben werde, bot erstaunlich wenig Aussicht. Die Landschaft war langweilig und man wurde wenig belohnt dafür, dass man sich hunderte von Kilometern zu diesem Punkt gequält hatte. Seit langem war das Wetter mal wieder wohlgesonnen und gemeinsam radelten wir dem letzten Pass und San Pedro entgegen. Nach der Mittagspause fingen die Kopfschmerzen und die Magenbeschwerden wieder an stärker zu werden. Alles Koka kauen half nicht. Auch der Wind setzte später wieder ein und so wurde der Tag doch noch zur Tortour.

Wir erreichten den nächsten und letzten Pass. Von hier waren es noch etwa zehn Kilometer bis eine rasante Abfahrt beginnen sollte. Diese zehn Kilometer wuchsen für mich zu Höllenqualen heran. Waren die Kopfschmerzen schon die ganze Zeit über angestiegen erreichten sie nun ungeante Ausmaße. Jede einzelne Pulsschlag schmerzte in meinem Kopf wie ein Hammerschlag. Jede Bodenunebenheit trieb mir die Tränen in die Augen. Einzig das Wissen, dass es nicht mehr weit ist und dass es danach bergab auf eine angenehme, schmerzfreie Höhe ging schien mich am Leben zu erhalten. Als schließlich die letzte Steigung überwinden war und klar, war das all das eine Ende hatte brach ich neben meinem Fahrrad zusammen. Ich weinte Tränen des Schmerzes aber auch Tränen der Erleichterung und der Freude. Zu den unmenschlichen Schmerzen in meinem Kopf gesellte sich vornehmlich das Gefühl der Erlösung, nur noch wenige Minuten und ich würde wieder dicke, sauerstoffreiche Luft atmen können. Aber auch Stolz und die Freude diese Herausforderung gemeistert zu haben erfüllte mich.
Das lang ersehnte Schild, Ende der Qualen und Beginn der Abfahrt

Dann ging es abwärts. Von etwa 4.500m auf 2.200m. Eine etwa 30km lange Abfahrt ohne viele Kurven. Ohne ein eínziges mal bremsen zu müssen stürtze ich mich den abhang hinab. Schreiend und jubelnd pulsierte das Adrenalin in meinen Venen. Mit gut 60kmh rauschte ich an einer Gruppe aus Radfahrern vorbei, die sich gerade nach oben gequält hatten. Mit über 70kmh näherte ich mich einem kleinem Schneefeld und zögerte kurz, doch ich hatte keine Wahl. Zum Bremsen oder Ausweichen war ich zu schnell und so ging es quer durch den Schnee. Mit einer Spitzengeschwindigkeit von 88,3kmh kam ich unten mit der untergehenden Sonne an. Das Adrenalin tat seinen Job als Schmerzmittel und alle Kopfschmerzen waren weggeblasen. Aufgepuscht und glücklich beobachte ich die Sonne, wie sie langsam hinter den Bergen verschwand, um dann gemütlich die letzten Kilometer in der Dunkelheit nach San Pedro zu radeln.

Ich hatte es geschafft und ich wusste, dass ich so etwas nie wieder machen muss. Der Plan die komplette Lagunenroute und damit auf noch höhren Höhen zu radeln war verworfen. Und ich war froh in der Oasenstadt wieder der Zivilisation und einer Dusche zu begegnen.

3 Kommentare:

  1. Meine Fresse.
    Ich kann mir aber vorstellen, dass das erste Bier nach so einer Höllenfahrt das allerbeste in deinem ganzen Leben war. :-)

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  2. Du bist der krasseste!!!

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